Fünfmal schneller als der Schall

Tagesspiegel, 27.06.2002,
von Cristina Moles Kaupp

Space is the Place: „Prüfstand 7“ von Robert Bramkamp – über die einst faszinierendste Rakete der Welt

Bianca, ein androgynes Wesen, sucht nach seinem Ursprung. Sie lebe hinter dem Schleier, tönt sie mit kratzender Stimme aus dem All, und sie suche ihren Vater, den Schöpfer der Rakete. Dem Schleier als Leitmetapher wird man in Robert Bramkamps „Prüfstand 7“ noch oft begegnen – er soll darin endlich gelüftet werden, Fakten und Geheimnisse offenbaren und die vielen Hirngespinste um jene Rakete, die als erste vier bis fünf mal schneller war als der Schall.

Als „gefrorener Blitz“ bezeichnete sie Thomas Pynchon in „Gravity´s Rainbow“ („Die Enden der Parabel“) – jenem Kultwerk, das sich über 1000 Seiten wie ein gewaltiger Film durch die Kulturgeschichte des Abendlandes bis zum Nachbeben der V2 zoomt. Sein Autor hat stets jede Bildwerdung verwehrt; für „Prüfstand 7“ war er jedoch zu Ausnahmen bereit. Und so kann Bramkamp Pynchons Bianca (Inga Busch) und Slothrop in seine eigenwillige, in sieben Kapitel unterteilte Stoffsammlung betten. Er kreist um den Geist der Rakete, kontrastiert Spielhandlung mit Interviews und Originalaufnahmen – ein hybrides Kunstprodukt, das faszinierend zwischen Technik, Geschichte, Weltraumvisionen, Mythen und männlichen Omnipotenz-Phantasien oszilliert.

Beim Dokumentarmaterial vom ersten Raketentest in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde darf Hermann Oberth nicht fehlen: Der Vater der Raumfahrt träumte von der „Rakete zu den Planetenräumen“ (1923) und schuf damit die Grundlagen zur Menschmaschinen-Verschmelzung mit dem All. Davon fieberten Künstler und Wissenschaftler in den 20er Jahren, Fritz Lang drehte seine „Frau im Mond“ und Oberth durfte ihn dabei beraten. Film und Rakete sollten gleichzeitig starten, es kam anders. Unter den Nazis verlieren die Raketenforscher ihre naive Technikbegeisterung und arbeiten für ein todbringenden Geheimprojekt.

Bramkamp forscht in Nordhausen, der unterirdischen Raketenschmiede mit vorgelagertem KZ. Findet Skizzen, Schrott und Tunnels, gedenkt jener 20 000 Häftlinge, der ersten Opfer der V2. Gnadenlos schneidet er Aufnahmen ihrer Leichen in den Film – als „20 000 Einzelteile“ der Rakete.

Spannendes und Lappalien stehen in diesem materialreichen Film nebeneinander, verknüpft zur Parabel mit Bianca: So düst sie im BMW von Nordhausen nach Bremen – dort entsteht derzeit ein Space-Park, dessen Struktur frappierend an den Mittelbau Dora in Peenemünde erinnert.

„Auslöschung kennt die Natur nicht; sie kennt nur die Verwandlung. Alles, was die Wissenschaft mich gelehrt hat, stärkt meinen Glauben an die Kontinuität unserer spirituellen Existenz nach dem Tode.“ Diese Worte Wernher von Brauns hat Pynchon seinem Roman vorangestellt. Seine Jünger forschen weiter.

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