Michael Girke im „Freitag“

„Freitag“, 09.04.2015,
by Michael Girke

Das Fremde birgt lauter Möglichkeiten, die unsere festgefahrene, beengte Realität erweitern können.

King Kong am Alexanderplatz

Experiment In „Art Girls“ schließt Robert Bramkamp eine erfolglose Künstlerin mit den Optimierungsideen verrückter Forscher kurz

■ Michael Girke

Manch ein Leser dürfte sich fragen, wer denn dieser Robert Bramkamp sei, von dessen neuem Film Art Girls hier die Rede ist. Es handelt sich bei ihm um einen der großen Unbekannten des zeitgenössischen deutschen Films. Seine Filme zeigen: Er ist ein Kenner der Kinogeschichte, er schöpft aus ihr. Weil er noch dazu ständig etwas in der Literatur und der Theorie entdeckt, dies auch in seine Arbeit einfließen lässt, hat Bramkamp sich zu einem Meister der Fülle entwickelt. 2002 hat er in Prüfstand 7 der Erfindung der Rakete nachgespürt und dabei Dokumentar-, Spiel- und Essayfilm aufs Produktivste miteinander verwoben. Art Girls bringt nun den Künstlerfilm mit dem fantastischen Film zusammen. Die Geschichte setzt ein im Alltag der Berliner Künstlerin Nikita Neufeld (wie immer bei Bramkamp: Inga Busch). Ausstellungsgelegenheiten, Anerkennung, ein Auskommen, sprich: ihren Platz in der Welt hat sie bislang nicht gefunden. Neufeld ist pleite, spürt das fortschreitende Alter, und ihre Wohnung mutet an wie ein Müllplatz. In Hamburg führen derweil Peter und Laurens Maturana (beide: Peter Lohmeyer), Zwillingsbrüder und Wissenschaftler, Versuche an lebenden Objekten durch; Ziel ist, jene biophysischen Blockaden zu beseitigen, die uns Menschenwesen daran hindern, unsere vorhandenen Potenziale voll zur Geltung zu bringen. Immer beginnen diese Versuche vielversprechend, immer scheitern sie krachend. Einer führte dazu, dass Peter Maturana im Rollstuhl sitzt. Man ahnt, alsbald wird es zu einer schicksalhaften Begegnung zwischen Nikita Neufeld und ihm kommen. In dem Rahmen, den ein Genrefilm vorgibt, zeigt Bramkamp Kunst weder als etwas genial Entrücktes noch als weltfremden Spinnkram, sondern so facettenreich, wie sie ist. Wozu gehört, dass es Szenen wie diejenige gibt, in der das Art Girl Fiona da Vinci (Jana Schulz) eine Peitschenperformance darbietet. Diese Performance – ungekürzt und ohne lästige Gegenschüsse eingefangen – ist nicht ausgedacht, vielmehr ein reales, in den Film transformiertes Werk der Künstlerin Maren Strack. Fremdheit als Chance In Art Girls ist Kunst nicht bloß Kulisse, sie spielt im wahrsten Sinne des Wortes mit. Neufelds Werke stammen von der Künstlerin Susanne Weirich. Peter und Laurens Maturana sind klassische mad scientists. Irgendwann meinen sie, dass mit Hilfe von Kunst Märchenhaftes möglich werden kann, nämlich genau das, woran es bei ihren Versuchen bislang noch hapert: Menschen nachhaltig zu verändern. Sie lernen neben Nikita Neufeld und Fiona da Vinci noch Una Queens (Megan Gay) kennen und kooperieren schließlich zwecks eines großen Ausstellungsprojektes mit ihnen. Aber da zeitigt die Arbeit der Künstlerinnen plötzlich merkwürdige und stadtweite Wirkungen. Wenn etwa Nikita Neufeld mit Farben experimentiert, scheint daraufhin keine gelbe Sonne mehr über Berlin, sondern eine blaue. Große Veränderungen werfen ihr Licht voraus. Mit Art Girls begibt Robert Bramkamp sich aufs Terrain des B-Movies, des fantastischen Films, jenes Genres, das etwa King Kong, Krieg der Welten oder jüngst Transformers hervorgebracht hat. Nur scheint er, bei aller Wertschätzung, auch ein Problem mit diesen Filmen zu haben: ihr Umgang mit Fremdem. Fremdes taugt zur Sensation, es lockt vor die Leinwand, verkauft Eintrittskarten, wird aber immer wieder nur als dämonisch, gefährlich und zerstörerisch hingestellt. Wildwuchs, den es zu beseitigen gilt. Von solchem Film gewordenen Pessimismus (oder Hochmut) will Bramkamp nichts wissen. Zuweilen geht es auch in Art Girls unheimlich zu, einmal gar bahnt sich eine King Kong ähnliche Riesengestalt ihren Weg durch die Hauptstadt. Der Fernsehturm legt sich krumm, noch manches wird beschädigt, aber wirklich kaputt geht nichts. Bald schon hat es mit dem Spuk sein Bewenden. Das Überraschende an Art Girls, einem gewissermaßen auf den Kopf gestellten fantastischen Film, ist, dass sich am Ende herausstellt: Das Fremde birgt lauter Möglichkeiten, die unsere festgefahrene, beengte Realität erweitern können. Art Girls Robert Bramkamp Deutschland 2013, 120 Minuten