Das Kino der Autoren ist tot. Glauben wir an ein neues?

epd film, 09-1997,
by Georg Seeßlen und Fernand Jung

Das Kino der Autoren ist tot. Glauben wir an ein neues? Eine Polemik zum deutschen Film

Was derzeit mit dem deutschen Film passiert, löst einerseits Euphorie und andererseits Mißbehagen aus. Unnütz zu sagen, daß die Euphorie ökonomischer und das Mißbehagen kultureller Art ist und daß die Protagonisten beider Reaktionen voneinander so entfernt sind wie es Kunst und Wirtschaft nun einmal gefälligst zu sein haben. Aber auch wenn die Entwicklung der letzten Jahre – die Umwandlung der kulturellen in eine wirtschaftliche Förderung des deutschen Films, der wachsende Einfluß des Fernsehens in den Gremien, die Zentralisierung der Definitions- und Finanzmacht und vieles mehr – geradezu sprunghaft vonstatten ging, so ist sie doch auch Ergebnis einer langen Geschichte. Wenn die hiesige Kulturpolitik den deutschen Autorenfilm nun scheinbar sang- und klanglos beerdigen kann, so nicht zuletzt deshalb, weil sich dieses Konzept selbst als ungemein krisenanfällig und mitunter als ausgesprochen kontraproduktiv erwiesen hat.

Natürlich mußte es zumindest gegen die Gewinner des Aufstiegs des Neuen Deutschen Films auch immer wieder Revolten oder wenigstens Absetzbewegungen geben. Die Veteranen des Neuen Deutschen Films können es drehen und wenden wie sie wollen, sie haben durch ihre merkwürdige Vereinnahmungsstrategie selbst eine Weiterentwicklung des deutschen Films seit den späten siebziger Jahren verhindert. Weder ließ man einen geregelten Nachwuchs zu – wie es für eine Kultur des Handwerks als Kunst nach dem Prinzip von Lehrer und Schüler in der Praxis notwendig ist – noch bot man eine wirkliche Angriffsfläche für einen mehr oder weniger fruchtbaren Generationskonflikt. Statt dessen wurden immer neue Ausbildungsstätten geschaffen, die sich den gesellschaftlichen Interessen öffnen mußten, anstatt das vielleicht entscheidende Prinzip der Selbstverwaltung in der Filmkultur zu fördern.

So blieben im Grunde nur wenige Möglichkeiten, gegen den “Block” der Veteranen eigene Wege zu finden, wollte man sie nicht einfach imitierend fortsetzen. Es kam zu einer Art populistischem Trotz, zur Flucht zum einzig möglichen Verbündeten gegen die festgefahrene deutsche Filmkultur das “breite” Publikum. Zum anderen setzte sich ein radikales Ideenkino fort, was von Harun Farocki bis Robert Bramkamp reichen mag, das Insistieren auf Geschichte und Region wie bei Christian Wagner oder Hiemer und Gietinger etc. Und schließlich blieb der Weg eines simplen Individualismus, der zumindest versuchte, die verhängnisvolle Entwicklung dieser Kultur ganz einfach zu ignorieren. Wir haben unsere einsamen Meister von Achternbusch über Kristl zu Straub/Huillet. Aber sie sind Außenseiter im deutschen Film geblieben.
Die öffentlichen Diskussionen der letzten Jahre dienten im wesentlichen der Verschleierung eines Prozesses, der bei der gegenwärtigen politisch-ökonomischen Situation dieses Landes gleichsam als die natürlichste Sache der Welt scheinen muß, nämlich der Verlagerung der Filmkultur von der kulturellen auf eine wirtschaftliche Förderung. Nur so ist es auch zu verstehen, daß die Steigerung des Marktanteils deutscher Filme als Erfolg dieser Kultur verbucht wird, ohne daß darüber nachgedacht wird, mit welchen Filmen eigentlich diese gewiß bemerkenswerte Verschiebung der “Sehgewohnheiten” des deutschen Publikums erreicht wurde. Es gibt im wesentlichen nur vier Kategorien, in denen deutsche Filme ökonomisch erfolgreich sind: die Komödie, die Bestseller-Verfilmung, das Feelgood-Movie (vulgo Kitsch) und das cineastische Pop-Merchandising. Schon beim Versuch, andere Genres zu adaptieren (Polizeifilm, Road Movie etc.) sind die Chancen auf einen Flop größer als auf einen Hit.

In dieser Situation entsteht ein Kino, das mit der Entwicklung des Mediums, mit seinem Reichtum und seiner Vielfalt, ganz einfach nichts mehr zu tun hat.

© epd-Film, 1997