Wenn aus Schweinen pflanzliche Wesen werden

Westfalenblatt, Rubrik “Gesehen und gehört”, 05.03.1987,
von Wolfgang Braun

Robert Bramkamp von der Filmklasse Münster drehte fürs ZDF einen agrarpolitischen Streifen

-ut- Münster (Eig. Ber.). Am Dienstag, 3. März, wird im Abendprogramm des ZDF der erste abendfüllende Spielfilm des münsterschen Filmklasseschülers Robert Bramkamp (27) gezeigt. „Gelbe Sorte  heißt der Titel des Streifens. Agrarpolitik als Thema eines abendfüllenden Spielfilms – das hat es wahrscheinlich noch nie gegeben. Das wird auch einer der Gründe gewesen sein, die die Redaktion des ,,Kleinen Fernsehspiels  im ZDF bewog, dem Filmklassenschüler Bramkamp die 160.000 Mark auf seinen Drehbuchentwurf hin zu spendieren, mit denen er dann dank der Möglichkeiten der kurz zuvor eingerichteten Filmwerkstatt sein Filmprojekt realisieren konnte.

Agrarpolitik ist Robert Bramkamp praktisch vertraut durch Mitarbeit auf einem landwirtschaftlichen Betrieb im Münsterland. Der Zuschauer wird gründlich in die moderne Schweinemast eingeführt. Allein die Darstellung der modernen mistfreien Massentierhaltung, bei der die Tiere zu pflanzenähnlichen Wesen werden, denen man durch sinnvoll angeordnete Nahrungsmittelversorgungsleitungen jede Anstrengung abnimmt, wird für die meisten Endverbraucher neu sein.

Im Film macht sich Bauer Bernd Sorgen. Er rechnet nach und kommt zum Schluß: Der Betrieb kann sich nur noch drei Monate über Wasser halten. Rettung erhofft er von einem fein ausgeklügelten Subventionsbetrug. Mit einigen Helfershelfern aus der Marketing-Branche und einem kooperatlonsbereiten Endlagerer in Holland zieht er ein lupenreines Geschäft auf, bei dem jeder auf seine Kosten kommt.

Man würde den Film missverstehen, wenn man ihn auf einen Agrarkrimi reduzieren würde. Der Kriminalfall interessiert den Autor offenbar als elegante Parabel für die Veranschaulichung bestimmter Paradoxien unserer derzeitigen Wirtschaftsordnung. Er hebt die Merkwürdigkeiten eines immer undurchschaubarer gewordenen Sektors unserer Gesellschaft ans Licht und spielt die Zweifel eigensinnig weiter, zieht einen mit offenen Augen in einen Strudel von Bildern und Gedankenspielen hinein.

Herausgekommen ist dabei ein Spielfilm, der gründlich mit der Vorstellung aufräumt, es gebe nur eine Lösung für das Problem. Fundamentalismus und technologischem Größenwahn bewegen üblicherweise die öffentlichen Zukunftsperspektiven. Bramkamp ergreift für keine Richtung Partei. Er spielt nur eine von vielen Möglichkeiten durch, konstruiert einen Fall. der höchst logisch abläuft und demonstriert auf unterhaltsame, intelligente Art die Unlogik des Systems.

Zur Verdeutlichung seiner Absichten – oder zur Vertiefung(?) – schiebt er Szenen aus der chinesischen Geschichte ein. Hier, bei der Revolution der Bauern, beim Aufbau des roten Nachkriegschina, fallen Wesen und Erscheinung bäuerlicher Arbeit augenfällig zusammen. Da bekommt man vorgeführt, wie mit großem Pathos die tägliche Plackerei auf dem Acker zugleich direkt dem Wohl des ganzen Volkes zugute kam. Strahlende, leuchtende Augen vor den ersten Traktoren und Siegesmeldungen über Ernteschlachten. Getanzter Optimismus. Welch Gegenbild zu dem unverhohlenen Mißmut breiter Schichten in den hochentwickelten Industrienationen, wo jeder technische Fortschritt ein Doppelgesicht bekommen hat.

Bramkamp ist nicht so naiv, daß er den westfälischen Bauern rote Fahnen in die Fäuste stecken wollte. Aber bei dieser spitzfindigen Montage zweier so gegensätzlicher Systeme werden sozusagen von selbst Gedankenverbindungen angeregt, die noch lange nachher wirksam bleiben und zu kreativem Querdenken verführen. In seiner Art dürfte „Gelbe Sorte  wirklich einzigartig sein. Sehenswert aus mehr als einem Grund!

Copyright © Westfälische Nachrichten, 1987