Hinter der Schallmauer

Junge Welt, 3.07.2002

Ambitioniert essayistisch: Im Kino läuft Bildmaterial zum »Prüfstand 7«

Hinter der Schallmauer
Ambitioniert essayistisch: Im Kino läuft Bildmaterial zum »Prüfstand 7«
Im äußersten Nordwesten der Halbinsel Usedom renatu-riert seit Jahrzehnten der Prüfstand 7. Am Nachmittag des 3. Oktober 1942 stieg hier ein Aggregat-4-Rakete von 14 Metern Länge in den klaren Herbsthimmel, erreichte fünf-fache Schallgeschwindigkeit, tauchte fünf Minuten später 192 Kilometer entfernt in die Ostsee ein – mit einer »Wucht von 50 Schnellzugslokomoti-ven von je 100 Tonnen, die mit 100 Kilometern pro Stunde gleichzeitig alle miteinander zusammenrasen«, wie sich der militärische Leiter der Heeres-versuchsanstalt Peenemünde, Walter Dornberger, später in ei-nem Nachkriegsbestseller erinnerte.

Diese Art Faszination für die Zerstörungskraft der Rakete ist bis heute nicht aus der Welt. Zum Glück gibt es Korrektive: Als die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie zum 50. Jubiläum dieses gelungenen Weltraumstarts eine Art Festakt veranstalten wollte, reichte das von Großbritannien bis Italien zum Skandal auf den Titelsei ten. Die Party wurde in letzter Minute abgesagt. Zum 60. Jubiläum wird der Bundespräsident nun im nicht weit entfernten Historisch-Technischen Informationszentrum von Peenemünde Benjamin Brittens »War Requiem« hören und daran erinnern, daß die 20000 Einzelteile der Rakete weder entwickelt noch komponiert worden wären, wenn sie nicht seit 1940 als »kriegsverwendungsfähig« gegolten hätte. 6 000 Menschen starben- infolge der Abschüsse auf England, Frankreich, Belgien und Holland. 20000 Menschen starben in den KZs, in denen das Aggregat 4 getestet und serienmäßig produziert wurde, das heute noch üblicher Weise »V2« genannt wird , was. nichts anderes als »Vergeltungswaffe 2« heißt – so hat es uns Joseph Goebbels in die Hirne geschissen.

Den – vorerst komplexesten Text zum Thema- verfaßte Thomas Pynchon, Nabokov-Schüler und später kurzzeitig Redakteur der Boeing-Hauszeitschrift. Sein Roman »Gravity’s Rainbow/Die Enden der Parabel« (1973) um den Geheimdienstangestellten Tyrone Slothrop, der auf der Suche nach dem Rätsel seiner Kind-heit (in der er auf das A4 kondi-tioniert wurde) durch die Trümmer Europas irrt, gilt allgemein als unverfilmbar. Robert Bram-kamp, Dozent für Spielfilmre-gie an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Ba-belsberg, wollte es irgendwann dennoch versuchen. Oder des-wegen. Pynchon verwehrte ihm die Lizenz. Die letztendliche Rechteabsprache lautete, daß Bramkamps »Prüfstand « nicht mehr als 25 Prozent der Filmlaufzeit wörtlich oder fil-misch aus der Vorlage zitiert, was auch immer das heißen mochte.

Aufgehängt ist Bramkamps von der Edition Salzgeber verliehenes Filmessay an der Figur der Bianca. Wie Slothrop ist sie aus dem Geist der Rakete geboren, wie Slothrop ist sie aus dem Geist der Rakete geboren, wie Slothrop irrt sie auf der Suche nach ihren Ursprung durch das Hinterholz der entsprechengen Zeichen. Ihr Trip führt sie zu Beginn der gerade mal 520000 DM teuren Stoffsammlung in das Berliner Ki-nomuseum, in dem der Direc-tor’s Cut von Fritz Langs »FrauMond« gebunkert ist -jener in vieler Hinsicht legendären UFA-Phantasie von Raumfahrt.

Später begegnet sie dem jW- Kolumnisten Helmut Höge; er-scheint als Enkelin von Ruth Kraft, die Usedom als »Insel ohne Leuchtfeuer« in den DDR-Kanon geschrieben hat; gelangt nach Bremen, wo die-ser Tage ein Disney-Space-Park entsteht; präsentiert die »Lieblingsfehlstarts« der Pee-nemünder Geschichtsgärtner usw. Fragen wie die, ob es sich bei der Rakete um einen eher männlichen oder eher weibli-chen Körper handelt, werden aufgeworfen – nicht um ge-klärt, sondern um in der Schwe-be gehalten zu werden. Selten war soviel Ambition im Kino. Die Idee ist gut. Daß die Welt bereit ist mag bezweifelt werden.
(ar)

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